Muss man wirklich jeden Mangel an Spurenelementen ausgleichen?
Niemand stellt diese Aussage infrage. Kaum jemand fragt weiter: „Warum ist es überhaupt zu einem Mangel an einem Mikronährstoff gekommen?“ Und wenn keine Ursache für den Nährstoffmangel gefunden wird, fragt man noch seltener jemand weiter: „Hat die Natur das so gewollt und mit dem Mangelzustand etwas bezweckt?“. Als Beispiel möchte ich den „Eisenmangel“ anführen:
Niedrige Eisenspiegel bedeuten nicht unbedingt Eisenmangel!
Eisenmangel kann viele Ursachen haben. Blutverlust ist eine häufige Ursache für echten Eisenmangel, Infektionen eine häufige Ursache für niedrige Eisenwerte. Die Folge eines Eisenmangels ist meist eine Blutarmut (Anämie), da die roten Blutkörperchen Eisen benötigen, um sich zu regenerieren. Bei einem Mangel an roten Blutkörperchen ist die Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Müdigkeit, Leistungsabfall, Konzentrationsstörungen, schneller Puls bei geringster Anstrengung sind dann die Folgen. Um die Blutbildung wieder in Gang zu bringen, wird daher häufig Eisen substituiert. Betroffene erkundigen sich oft nach eisenhaltigen Lebensmitteln oder nehmen Eisen in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich, bis der Stuhl schwarz wird und Bauchschmerzen oder Verstopfung auftreten.1 Geht man zum Arzt, führt dieser einige Untersuchungen durch. Als Behandlung empfiehlt dann auch der Arzt die Einnahme von Eisen. Oft verschreibt der Arzt Eisentabletten, nur weil ein Eisenmangel festgestellt wurde, ohne nach der Ursache des Eisenmangels zu suchen.
Eisenmangel kann aber nicht nur im Rahmen eines Blutverlustes auftreten, sondern auch eine Reaktion des Körpers zur Abwehr von Infektionen sein. Jeder Mikrobiologe weiß, dass Bakterien besser wachsen, wenn dem Nährboden Eisen zugesetzt wird. Meist geschieht dies durch die Zugabe von Schafblut. Dies führt zu einem deutlich besseren Wachstum vieler Keime, was im mikrobiologischen Labor für die Diagnostik erwünscht ist. Beim lebenden Menschen will der Körper bei einer Infektionskrankheit nicht, dass sich die Bakterien im Blut schnell vermehren. Deshalb entzieht er dem eigenen Blut freies Eisen, wodurch die Vermehrung von Bakterien im Blut etwas gehemmt wird. Das Risiko einer Blutvergiftung sinkt. Zumindest so lange, bis ein Arzt den Eisenmangel feststellt (aber nicht die Ursache des Eisenmangels gesucht hat) und mit Eisentabletten behandelt. Damit wird der Selbstheilungsversuch des Körpers durch eine Therapie mit Eisen zunichtegemacht.
Jeder Mikronährstoffangel muss abgeklärt werden, bevor substituiert wird!
Bei jeder Substitution mit Mikronährstoffen muss zunächst die Ursache für den jeweiligen Mikronährstoffmangel gefunden werden. Danach stellt sich die Frage, ob der Mikronährstoffmangel überhaupt ausgeglichen werden muss oder ob er sich nach Beseitigung der Ursache nicht von selbst ausgleicht. So gibt es z. B. für einen durch Blutverlust verursachten Eisenmangel genaue Kriterien, ob und wie schnell ein Eisenmangel nach Beseitigung der Blutungsquelle ausgeglichen werden muss.
Dann stellt sich die Frage, wie der Nährstoffmangel ausgeglichen werden soll. Um beim Beispiel des Eisenmangels zu bleiben: Es ist nicht sinnvoll, Eisen in Tablettenform zu substituieren, wenn der Eisenmangel durch eine Darmerkrankung verursacht wird, bei der Eisen gar nicht aufgenommen werden kann. In diesem Fall müsste Eisen in Form von Infusionen oder Spritzen verabreicht werden. Bei anderen Mikronährstoffdefiziten gibt es weitere Substitutionsformen in Form von Suppositorien, Lutschtabletten oder Zahnpasten, wenn eine Resorption über die Mundschleimhaut oder die Rektalschleimhaut möglich ist.
Beispiele für eine falsche Substitution:
Beispiel Eisenmangel und Malaria: In der Sahelzone haben Forscher festgestellt, dass sehr viele Menschen, vor allem Kinder, an Eisenmangel leiden. Um diesem Eisenmangel vorzubeugen, wurde ein Projekt gestartet, bei dem der Bevölkerung Kochtöpfe aus Eisen geschenkt wurden. Durch die Zubereitung des Essens in den Metalltöpfen wurde der Eisenmangel tatsächlich „verbessert“. Die Folge war jedoch, dass mehr Kinder starben als vor der Intervention. Was war passiert?
Weitere Untersuchungen ergaben, dass der Eisenmangel einen gewissen Schutz vor schweren Malariainfektionen bot. Die „Eisensubstitution“ führte dazu, dass mehr Menschen an Malaria starben. Daraus wurde geschlossen, dass Eisenmangel einen schützenden Effekt gegen Malaria hat.1
Nun könnte man einwenden, dass dies vielleicht für Malariagebiete gilt, aber nicht für uns in Europa. Das ist leider nicht der Fall. Denn immer, wenn der Körper mit einer Infektion zu kämpfen hat, reduziert er das Eisen im Blut. Das ist Teil seiner Abwehrstrategie, denn Bakterien brauchen Eisen, um sich zu vermehren. Wird in einem solchen Fall Eisen substituiert, kann es sein, dass die Infektion rasch zunimmt. Auf dieses Phänomen gehe ich im Kapitel „Eisen“ näher ein. Dies soll nur ein Beispiel dafür sein, dass es auch bei einem nachgewiesenen Mangel nicht immer gut ist, diesen auszugleichen.
Literatur:
- Gwamaka, Moses, et al. "Iron Deficiency Protects Against Severe Plasmodium falciparum Malaria and Death in Young Children." Clin. Infect. Dis., vol. 54, no. 8, 15 Apr. 2012, pp. 1137-44, doi:10.1093/cid/cis010.
- Tolkien Z, Stecher L, et al. Ferrous sulfate supplementation causes significant gastrointestinal side-effects in adults: a systematic review and meta-analysis. PLoS One. 2015 Feb 20;10(2):e0117383. doi: 10.1371/journal.pone.0117383. PMID: 25700159; PMCID: PMC4336293.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch „Nahrungsergänzungsmittel kritisch gesehen“, das noch einen Verlag sucht